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Zentrales Besprechungsorgan von keinVerlag.de Ausgabe 367/2025 - Fr., 14. Mär 2025
Die erbarmungslose Wirklichkeit
Charlotte Link: Sechs Jahre. Der Abschied von meiner Schwester. München (blanvalet), 2014 - Eine Rezension von Quoth

Bibliografische Daten:
Verlag: blanvalet
Ort: München
Erscheinungsjahr: 2014
Preis: 9,99 Euro
ISBN: 9783641141004

Die berühmte Krimi-Autorin beschreibt Krankheisverlauf und Tod ihrer über alles geliebten Schwester an Krebs . Das Buch wäre deprimierend, wäre es nicht zugleich ein Hohelied auf Geschwisterliebe und Tapferkeit in größter Not.
„Ich habe dir, als du noch hier warst, viel zu selten gesagt, wie sehr ich dich bewundere. Vor allem für die Tapferkeit, mit der du deinen Weg gegangen bist. Selbst als es niemanden mehr gab, der dir noch Hoffnung machte, als dir ein Tod bevorstand, der Ersticken hieß, bist du aufrecht geblieben. Du hast so selten geklagt oder geweint. Du hast dein Schicksal mit größter Würde und unglaublicher innerer Stärke angenommen.“

Mit diesen Worten verabschiedet sich Charlotte Link in ihrem Buch „Sechs Jahre“ von ihrer an Krebs und Lungenfibrose 2012 verstorbenen Schwester Franziska. Ich kann ihn wortgleich auch auf meine Tochter Julia beziehen, die an einem Sarkom mit Lungenmetastasen 2024 starb. Der Leidensweg Franziskas zog sich über sechs Jahre hin; der meiner Tochter über sechs Monate; ich frage mich, was grausamer war. Furchtbar das Erleiden der grässlichen Nebenwirkungen von Chemotherapien, die sich dann als wirkungslos erweisen. Furchtbar die (zum Glück seltene) Begegnung mit Ärzten und Pflegepersonal ohne jede Empathie, furchtbar die Angst, aus der Erinnerung der erst zweijährigen Tochter zu verschwinden.

Erstaunlich aber das Zusammenwachsen der Angehörigen zu einer Kampfgemeinschaft – wie auch Charlotte Link es beschreibt. Sie ist eine gewiefte Krimiautorin, und ihr handwerkliches Geschick schimmert auch in diesem ihrem einzigen autobiografischen Werk durch. Obgleich man als Leser von Anfang an weiß, dass es auf den Tod der über alles geliebten Schwester hinausläuft, ist es spannend von Anfang bis Ende – wie eine Tragödie von Shakespeare, der wir auch gebannt folgen, obgleich wir das Ende voraussehen.

Wie oft haben wir uns gefragt: Sollten wir es nicht mit einer alternativen Therapie versuchen, versucht haben? Hätte ihr das nicht die allzu nebenwirkungsreichen Qualen der Schulmedizin erspart? Auch darauf gibt Charlotte Link eine Antwort: Sie und ihre Familie haben es nämlich versucht und sind an einen (namentlich nicht genannten) Mediziner geraten, der Hyperthermie und Misteltherapie im Verbund praktizierte – und nur hinter dem Geld her war. Diese zynische Bereitschaft, aus der Angst und Sorge von Kranken und ihren Angehörigen ordentlich Geld herauszuschlagen, dürfte im Bereich der alternativen Therapien besonders häufig anzutreffen sein. Und Gutes bewirkt hat auch dieser Ausflug in die Alternativmedizin offenbar nichts. Ja, die Frage stellt sich: Darf Lebensverlängerung, wenn sie nur Leidensverlängerung ist, das oberste Ziel sein?

Wir haben, zwölf Jahre nach Franziskas Tod, große Hoffnungen auf Neuerungen der Krebstherapie gesetzt, insbesondere auf Immun- und Antikörpertherapie, wir glaubten der Krebs ließe sich „bändigen“ und dauerhaft in Schach halten. Solche Fälle gibt es – aber Julias Krebs triumphierte. Ein Loblied singen müssen wir auf die ambulante Palliativ-Versorgung am Schluss – Julia konnte bis kurz vor ihrem Tod zu Hause bei Mann und Töchterchen sein und starb dann, umgeben von ihren Liebsten im Mildred-Scheel-Haus der UKK.

Ich kann dieses Buch Angehörigen und Hinterbliebenen von Schwerkranken nur empfehlen. Charlotte-Link-Fans, die sich blutrünstige Verwicklungen in britischen Hochmooren erhoffen, rate ich ab. Dies Buch beruht nicht auf Fiktion, sondern auf der erbarmungslosen Wirklichkeit selbst.
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