Bibliografische Daten:
Verlag: Suhrkamp Verlag
Ort: Frankfurt am Main
Erscheinungsjahr: 2009
Preis: 15,80 Euro
ISBN: 3518420550
Posthum erschienen: Thomas Bernhards „Meine Preise“
Ein autobiographischer Text des österreichischen Autors Thomas Bernhard (1931-1989) über einige Literaturpreise, die er bekam - wie es sich zugetragen, was er bekommen und was er damit gemacht hat.
In unserer christlich geprägten Kultur gilt die Erfüllung des sogenannten „letzten Willens“ als heilig. Menschen, die eingeäschert werden wollen, werden verbrannt; Pudel-Liebhaberinnen wird nicht verwehrt, ihr Vermögen einem Tierheim zu spenden; manchmal machen Elternteile in ihren Testamenten Auflagen, die die Kinder erfüllen müssen, um an hinterlassenes Geld zu kommen.
Nur auf einem Gebiet wird dieses Gebot unterlaufen: In der Kunst. Prominentestes Beispiel ist der Wunsch des Schriftstellers Franz Kafka, seine unveröffentlichten Manuskripte mögen vernichtet und bereits erschienenes nicht nachgedruckt werden. Er schrieb:„Wenn ich sage, dass jene 5 Bücher und die Erzählung gelten, so meine ich damit nicht, dass ich den Wunsch habe, sie mögen neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehen, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch“. Eigentlich eindeutig, doch herrscht heute offenbar Einigkeit darüber, dass Kafkas Herausgeber Max Brod der Welt einen Gefallen getan hat, indem er die Bitte des Freundes ignorierte. Wer ein wenig die morbiden Werke von Kafka kennt, der kann schon das Gefühl bekommen, eine derartige Verfügung würde gut dazu passe, dass Kafka heute nur in wenigen antiquarischen Schriften zu bekommen wäre. „Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat“ schreibt er abschließend. 2008 wurde sogar zum Kafka-Jahr ernannt und in der Heidelberger Universitätsbibliothek wurde man 12 Monate lang latent penetrant auf eine Kafka-Ausstellung im Obergeschoss hingewiesen.
Sehr unsensible Gemüter könnten argumentieren, dem Toten könne dies egal sein, er sei ja tot und würde „nichts mehr mitkriegen“. Vielleicht denken auch viele Lebende so, wenn sie ihren Nachlass regeln. Warum sich also die Mühe mit einem Testament machen? Vielleicht weil es einem ein Gefühl von Sicherheit gibt, das Gefühl, alles sei geregelt. So etwa, wie wenn man kurz nach dem Aufbrechen nochmals in die Wohnung zurückkehrt, um zu kontrollieren, ob alle Herdplatten ausgeschaltet sind, nur in etwas gewichtigeren Dimensionen.
Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (am 9. Februar 2009 wäre er 78 Jahre alt geworden, wenn er am 12. Februar nicht schon genau 20 Jahre tot wäre) gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern und Dramatikern des 20. Jahrhundert. Auch er hat ein Veröffentlichungsverbot für seine nachgelassenen Texte verfügt: "Aus meinem eventuell gleich wo noch vorhandenen literarischen Nachlass, worunter auch Briefe und Zettel zu verstehen sind, kein Wort mehr veröffentlicht werden" dürfe, schrieb er, eindeutiger als Kafka.
Auch dieser Wunsch wurde übergangen: Am 12. Januar 2009 erschien „Mein Preise“. Es geht darin ganz autobiografisch um die Auszeichnungen, die Thomas Bernhard während seines Lebens bekommen hat. Viele Preise hat er erhalten, am bekanntesten ist sein sogenannter Kleiner Österreichischer Staatspreis für Literatur, aber nicht, dass er ihn bekommen hat, sondern seine Dankesrede, während dieser der österreichische Kulturminister vorzeitig gegangen war. Die Rede ist im Anhang von „Meine Preise“ aufgeführt. Möglicherweise sind es die Sätze „Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zu Geistesschwäche verurteilt ist“ und „Wir haben nichts zu berichten, als das wir erbärmlich sind“, die den Minister veranlasst haben, wutschnaubend und türschlagend den Saal zu verlassen.
Schon früh überkamen Bernhard Selbstzweifel. Zu einem seinem ersten Preise, dem Literaturpreis der freien Hansestadt Bremen bemerkte er: „Ich glaubte an dem Irrtum, Literatur sei meine Hoffnung, ersticken zu müssen. Ich wollte von der Literatur nichts mehr wissen. Sie hatte mich nicht glücklich gemacht, sondern in die stickige und stinkende Grube getreten, aus welcher es kein Entkommen mehr gibt, wie ich glaubte. Ich verfluchte die Literatur und meine Unzucht mit ihr“.
Bernhard geht bei seinen Schilderungen nicht immer chronologisch vor und seine Liste der besprochenen Verleihungen ist auch nicht vollständig. Dafür bekommt man aber einen höchst flüssig erzählenden und unterhaltsamen Text. Denn er erzählt nicht nur von den Preisgaben, sondern auch davon, was davor und danach geschah. Mit Vorliebe berichtet er, was er mit dem Geld gemacht hat. Das ist mitunter lustig, was bei einem Autor, dem immerfort fälschlicherweise unterstellt wird, er mache „immer alles so negativ“ (Volksmund) überraschend sein kann. Überraschend ist das aber nur für den, der zum Beispiel sein höchst amüsanten Roman „Holzfällen“ nicht kennt.
Was „Meine Preise“ nicht hat ist die den typischen langen Bernhardsätzen eigene Musikalität. Der Grund dafür ist, dass die Sätze in „Meine Preise“ nur eine durchschnittliche Länge haben. Leider ist das Werk nicht von durchgehend hoher sprachlicher Brillanz, die mehrmalige Verwendung des Wortes „Arschloch“ belegt es.
Er spricht nicht über alle Auszeichnungen maliziös, vom Literaturpreis der Bundeswirtschaftskammer ist er ziemlich angetan. Er bezieht ihn nicht auf sein literarisches Schaffen, sondern als eine Ehrung seiner Zeit als Kaufmannslehrling in Salzburg: „Ich fühlte mich unter den ehrwürdigen Herren des Kaufmannstandes ungeheuer wohl und ich hatte die ganze Zeit, die ich mit diesen Herren zusammen gewesen war, nicht den Eindruck, ich gehöre zur Literatur, sondern dass ich zur Kaufmannschaft gehörte.“ Er trifft dort den Präsident der Bundeswirtschaftskammer, der derselbe ist, der ihm 30 Jahre zuvor die Kaufmannsgehilfenprüfung abgenommen hat.
Die Bilanz des Thomas Bernhard: „Aber ich war doch die ganzen Jahre, in welchen noch Preise auf mich zukamen, zu schwach, um nein zu sagen. Hier hat, so dachte ich immer, mein Charakter ein großes Leck. Ich verachte die, die die Preise gaben, aber ich wies die Preise nicht strikt zurück. Es war alles widerwärtig, aber am widerwärtigsten empfand ich mich selbst.“
In der Brust des Anhängers des Werkes des großen, vielleicht größten österreichischen Schriftstellers schlagen zwei Herzen: Einerseits möchte man seinen letzten Willen respektieren. Andererseits liest man „Mein Preise“ mit Lust und ist dankbar dafür, daß es noch etwas „Neues“ von ihm zu lesen gibt.