Zwei unbescholtene Idar-Obersteiner Streifenpolizisten...
Bibliografische Daten:
Verlag: Pandion
Ort: Simmern
Erscheinungsjahr: 2007
Preis: 10,00 Euro
ISBN: 3934524907
In der Kleinstadt Idar-Oberstein (Kreis Birkenfeld) wird eine eine rituell in Szene gesetzte Leiche gefunden. Der ursprünglich aus Norddeutschland stammende Kriminalhauptkommissar Finn Steinmann wird als Experte für religiöse Hintergrunde auf den Fall angesetzt. Ein Kriminalroman mit vielen regionalen Bezügen zum Hunsrück.
Im Zuge seiner Funktion als Lektüre des Leistungskurses Deutsch 11/2 des Gymnasiums an der Heinzenwies war ich gezwungen, mich mit dem Inhalt des Kriminalromans „Strohbär“ von Thomas A. Ruhk näher und insbesondere kritisch auseinander zusetzen, wobei mir ersteres nicht immer besonders leicht fiel, was ich im folgenden Text, der sich mit einigen wenigen Kritikpunkten in Einleitung und Haupttext flüchtig beschäftigt, begründen werde. Das Nachwort habe ich aus meiner Kritik ausgeschlossen, da es meiner Meinung ein einziger Kritikpunkt ist und ich den Autor, fürchte ich, auch so schon genug angreife, ohne seine privaten Mitteilungen an Leser, Helfer und Gattin zu kommentieren.
Die Einleitung bereitete zunächst auf einen gut geschriebenen Kriminalroman mit religiösem bzw. rituellem Hintergrund vor und führte mich als Leser in anschaulicher und niveauvoller Sprache in das Themenfeld religiöser Traditionen und deren Ursprung ein. Gegen Ende jener Ausführungen schwand der sachliche Ton allerdings schon allmählich dahin und entwickelte sich mit Begriffen wie „bösartige Menschen“ und „sich im Auftrag Gottes wähnen“ eher zum anklagenden und verurteilenden hin. Ein erster Vorgeschmack auf die folgende Hauptgeschichte...
Es beginnt mit dem Klappentext im Bezug zu den ersten Kapiteln: Der erste Leichenfund „schockiert selbst die abgebrühtesten Kollegen“ – Wen? Mein Eindruck von den handelnden Polizisten ist eher ein behäbiger und etwas begriffsstutziger, was allerdings auch auf die Erzählweise zurückzuführen ist:
Als ganz zu Beginn von einem anonymen Anrufer und seiner Ankündigung eines Stücks Gerechtigkeit die Rede ist, rechneten sowohl ich als auch andere (mir bekannte), erfahrene Krimikonsumenten entweder mit einer Bombe oder einem Mordopfer. Dass zwei unbescholtene Idar-Obersteiner Streifepolizisten nun keine Ritual-Leiche erwarten würden, ist zwar verständlich, doch meine Reaktion ging nun eher in die Richtung „Was habt ihr denn erwartet?“, wodurch der Mord und das Ritual selbst eher in den Hintergrund gerieten und eine erschreckende oder gar schockierende Wirkung gänzlich ausblieb.
Auch im Protagonisten Finn Steinmann kann ich keine Abgebrühtheit erkennen. Der frühe Tod der Eltern scheint für den nötigen dramatischen Hintergrund sorgen zu sollen, den viele der heutigen Fiktions-Kommissare aufweisen, die seherischen Anwandlungen der Kräuter - Großmutter vielleicht für eine gewisse geheimnisvolle Aura, seine Redeweise scheint Intelligenz vermitteln zu wollen und seine angedeutete Schwäche für die Mitarbeiterin Dr. Neisinger (die dann letztendlich jäh im Sande verläuft) ist wohl einfach das bisschen Romanze, dass in den meisten Kriminalromanen zu finden ist – Tatsache ist auf jeden Fall, dass der Charakter Finn Steinmanns der oberflächlichste aller Protagonisten ist, die mir jemals in irgendeiner Geschichte begegnet sind. Ich kann keinerlei Persönlichkeit feststellen, wodurch er sich jedem Verständnis und auch Interesse entzieht, es wäre kein großer Unterschied, wenn er durch einen Roboter ersetzt werden würde - auch wenn man dann wohl auf die Schwenkbratenorgie und einige plötzliche Ausbrüche in norddeutschem Platt (oder welchem Dialekt auch immer) hätte verzichten müssen. Was meiner Meinung nach kein Verlust gewesen wäre, da insbesondere das Grillfest doch sehr überzogen wirkt – norddeutscher Fleischhasser probiert hunsrücker Schwenkbraten und verfällt ihm. Das klingt nach einem Schwank unter hunsrücker Grillfanatikern und nimmt dem „Charakter“ auch die letzte Glaubwürdigkeit (Was aber im Prinzip nicht schlecht ist, da er so gegen Ende des Buches, als er trotz wiederholter Hinweise auf die dürre Kifferstatur Helmut Strohms jenen weiterhin verdächtigt, der riesenhafte Strohbär zu sein, nicht noch tiefer sinken kann).
Spätere Anspielungen auf den Vorfall beim Grillfest entbehren beharrlich jeglichem Humor.
Doch Finn Steinmann ist nicht der einzige leere Name im Stück – tatsächlich sind die russische Nymphomanin und der Sohn ihres Geliebten die einzigen Personen, die mir als Mensch in Erinnerung blieben. Ansonsten überwiegen einfach die Klischees – die attraktive junge Assistenzärztin, die zwar in einer flirtenden, aber nicht ernsthaft liebenden Beziehung zum Kriminalhauptkommissar zu stehen scheint, der hunsrücker Grillmeister des Schwenkbratens mit dem Bierbauch, die Reporterin, deren Gesicht man unter einem Kilo Make-up nicht mehr erkennen kann, die kriminellen Väter der Täter-Opfer, die allesamt fast von ihrem schlechten Gewissen umgebracht werden...und schließlich der Strohbär selbst, dessen Herz nach jahrelangen Racheplänen erkaltet ist, sodass am Schluss nur noch eine seelenlose Maschine bleibt, wie Finn Steinmann das so schön reflektiert.
Den übrigen Polizisten ergeht es ähnlich wie Finn Steinmann: Jeder scheint als Profi auf einem bestimmten Gebiet und mit speziellem Spitznamen und überhaupt intelligent dargestellt werden zu wollen, doch letztendlich wirken sie wie eine Gruppe Kinder. Beim Sammeln der Tatmotive und Bedeutungen der Symbolik des Mordes und Tatortes kommen zweimal hintereinander die Vorschläge „sexuelle Hintergründe“, die beide Male als neu angenommen werden, wobei jeder Vorschlag wie eine nette Meldung gelobt wird; und dann kommt zuletzt (sozusagen als Krönung) noch die Idee des „religiösen Hintergrunds“, was ebenfalls als neuartiger und guter Gedanke aufgegriffen wird, wobei aber doch eigentlich allen von Anfang an klar sein müsste, dass es um rituelle Aspekte geht, wurde doch mit Finn Steinmann eben speziell ein Fachmann für dieses Gebiet beordert.
Was sehr positiv auffällt, sind die regional typischen Personennamen, die durch ihre Realitätsnähe zumindest den ersten Eindruck noch retten.
Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Etwa der theatralische Name Frankenstein, der sowohl mit dem Äußeren des „Charakters“ als auch mit seinem Inneren und andeutungsweise mit seiner Handlung in Beziehung zu bringen ist sowie sein Spitzname „Shorty“, der ungefähr in jedem zweiten mittelmäßigen (bis schlechten) Buch auftaucht, ob nun als Spitz- oder Hundename. Was nicht direkt unter Namen fällt, jedoch als Bezeichnung einer ähnlichen Kategorie zuzuordnen ist und den vorangegangenen Beispielen in Sachen Klischeehaftigkeit um nichts nachsteht, ist „ein Stück Gerechtigkeit“. Dieser Begriff wird so häufig im Zusammenhang mit Attentaten, Selbstjustiz und ähnlichen Delikten genannt, dass er schon recht abgegriffen und nicht besonders aufrüttelnd ist.
Obgleich ich denke, dass die absolute Grundgeschichte durchaus hätte zu einem guten Ergebnis führen können, ist sie doch nicht so originell, dass sie in einem einfach Krimi bearbeitet werden kann. „Kleiner Junge rächt nach dreißig Jahren den Mord an seinem besten Freund“ oder noch vereinfachter „Mann rächt Freund“ ist kein besonders neuer Gedanke, um daraus ein gutes Buch zu machen hätte es einen neuen Gedanken gebraucht, womit ich nicht ein paar Bündel Stroh und eine Maske meine, sondern eine ungewöhnliche Perspektive, einen spannenden Konflikt oder eine außerordentlich gute Erzählweise.
Nichts davon taucht in „Strohbär“ auf. Die Dialoge wirken künstlich, auch ein gelegentliches „Scheiße“ oder „Sorry“ schafft es nicht, den Gesprächen einen natürlichen Anstrich zu geben, die Erzählweise scheint zu schwanken; Für gewöhnlich wird eine personale Sicht beibehalten, wobei von Zeit zu Zeit in eine andere Rolle als die Finn Steinmanns geschlüpft wird (jedoch sehr selten und nicht länger als einen Absatz was dazu geführt hat, dass ich bei den ersten niedergeschriebenen Gedanken Neisingers anfangs etwas irritiert war). In Zwischen- und Endspiel allerdings (wobei man diese Titelgebung schon fast als zynisch empfinden könnte) wechselt Ruhk sehr häufig zwischen auktorialer und personeller Erzählweise hin und her, mal verfällt er in die Sprache der kleinen Jungen, dann wieder zeichnet er Sprachbilder in der Erzählweise des übrigen Romans, was zur Entstehung eines „Stilbastards“ führt und mich persönlich nicht besonders anspricht.
Das bisschen an Spannung, dass innerhalb der Geschichte entsteht, kommt durch Sprünge vor Konflikten oder „wichtigen“ Ereignissen sowie Verschweigung einiger Tatsachen zustande, was ich ziemlich traurig finde, da diese für gewöhnlich doch eher erfolgreiche (wenn auch billige) Methode es nicht schaffte, mich soweit für die Geschichte zu interessieren, dass mir die Identität des Täters und die Lösung des Falles irgendetwas bedeutet hätte.
Dem gesamten Buch fehlt es einfach völlig an Atmosphäre. Und da meiner Meinung nach die Atmosphäre auf jeden Fall die Seele einer jeden Geschichte ist, kann ich mich nur den Worten anschließen, die Thomas A. Ruhk seinem Protagonisten gegen Ende über den „Strohbär“ in den Mund gelegt hat, wobei ich mich damit allerdings auf das Buch beziehen möchte: Wie ein Stimmverzerrer. Seelenlos und unnatürlich.